Zu viel Papierkram

Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr   Gemäss den Analysen der Weltbank hat die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz im internationalen Vergleich stark abgenommen. 2007 belegte unser Land noch Platz 15 in der Weltrangliste, 2020 nur noch Platz 36. Ein wichtiger Grund dafür ist die steigende adminis­trative Belastung für KMU.
Susanna Steimer Miller

Der seit 2003 jährlich publizierte ­Bericht der Weltbank gibt Aufschluss über das Wirtschaftsklima in verschiedenen Ländern und wird international von Investoren beachtet. Auch wenn für die Beurteilung gewisse Kriterien wie das Ausmass der Korruption oder die Rechtssicherheit in einem Land nicht beachtet werden und in diesem Jahr vier Länder (beispielsweise China) nur dank geschönter Zahlen Plätze gutgemacht haben, stimmt der ­Abstieg der Schweiz nachdenklich. Haben die staatlichen Regulierungskosten tatsächlich so zugenommen, dass die Schweiz für Investoren an Attraktivität verliert? Wir haben uns umgefragt.

Administrativer Aufwand belastet KMU

Die Ergebnisse einer im Auftrag des Schweizerischen Gewerbeverbands durchgeführten Studie kommen zum Schluss, dass allein in den Bereichen Arbeitsrecht, Sozialversicherungen und Lebensmittelhygiene Regulierungskosten von 4 Milliarden Franken pro Jahr entstehen. Gesamthaft – und für alle Unternehmen – dürften sich die durch staatliche Regulationen bedingte Kosten auf rund 60 Milliarden belaufen, was 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) entspricht. Staatliche Regulierungen belasten alle Unternehmen, am meisten jedoch kleine und mittlere. «Für den Schweizerischen Gewerbeverband ist das inakzeptabel», sagt der stellvertretende Direktor Henrique Schneider. Schliesslich stellen die kleinen und mittleren Unternehmen der Schweiz etwa zwei Drittel aller Arbeitsplätze, erwirtschaften dank Flexibilität und Innovation eine hohe Wertschöpfung und tragen massgeblich zum Wohlstand in der Schweiz bei. «Angesichts der grossen Bedeutung der KMU ist es stossend, dass sie mit immer mehr administrativem Aufwand und zusätzlichen Kosten belastet werden», ergänzt Schneider. Der Gewerbeverband setzt sich deshalb für die massive Reduktion gesetz­licher Regulierungskosten für KMU ein. «Die Entlastung der KMU entspricht einem Wachstumsprogramm, weil Geld und ­unternehmerische Kapazitäten dadurch frei werden», erklärt Henrique Schneider.

Gesundheitsbereich stark betroffen

Die Zunahme des administrativen Aufwandes macht auch vor KMU im Gesundheitssektor nicht halt. Andreas Hartmann, ­Hausarzt in Rorschach und Präsident des St. Galler Gewerbeverbandes bestätigt, dass der administrative Aufwand massiv zugenommen hat: «Als ich vor 30 Jahren meine Praxis eröffnet habe, musste ich deutlich weniger Informationen an den Staat und ­diverse Institutionen liefern als heute.» Seit einiger Zeit müsse er zum Beispiel das Krebsregister über alle Krebserkrankungen seiner Patienten oder das Bundesamt für Statistik über detaillierte Daten seiner ­Praxis informieren. «Obwohl die Digitalisierung viele Prozesse beschleunigt, ist die Administration aufwendig», sagt der Arzt. Natürlich könnte er einen Treuhänder engagieren, der ihm Arbeiten abnehme, das koste aber. Diese Kosten können Unternehmer im ­Gesundheitswesen nicht an die Patienten weiterverrechnen. Er setzt sich dafür ein, dass die Administrationskosten für KMU nicht weiter steigen. Gerade für Unternehmer in Grenzkantonen sei das wichtig, um wett­bewerbsfähig zu bleiben. «Wir müssen die Reglementierungswut auf allen Ebenen eindämmen und uns auch bei der Erhebung von Gesundheitsdaten immer hinterfragen, ob die Auswertung einen Nutzen bringt. Das ist nicht immer der Fall», weiss Hartmann.

«Die Vielzahl neuer Regulierungen, die wie Pilze aus dem Boden spriessen, machen die positiven Auswirkungen der beschlossenen Entlastungsmassnahmen häufig wieder zunichte.»

Engagement des KMU-Forums

Seit 1998 setzt sich das vom Bundesrat ins Leben gerufene KMU-Forum mit den potenziellen Folgen von neuen Gesetzen, Verordnungen und Gesetzesrevisionen für KMU auseinander. Mit dem Mitglied Urs Stoffel, Chirurg aus Zürich, ist auch ein Vertreter des Gesundheitswesens in dieser ausserpar­lamentarischen Kommission vertreten. ­Stoffel erklärt die Hauptaufgabe des KMU-Forums so: «Wir diskutieren die Folgen jeder neuen oder revidierten Gesetzesvorlage und äussern uns zu den Vernehmlassungen.» Der Einfluss des KMU-Forums sei gross und führe häufig zu Anpassungen von Regulierungsmassnahmen. Doch weshalb steigt die administrative Belastung für KMU im Gesundheitssektor weiter? Laut Urs Stoffel hängt dies unter anderem vom Departementsleiter ab. Bundesrat Alain Berset verfolge die Haltung der SP, die Regulierungen im Gesundheitswesen eher ­befürwortet. «Die Vielzahl neuer Regulierungen, die wie Pilze aus dem Boden spriessen, machen die positiven Auswirkungen der beschlossenen Entlastungsmassnahmen häufig wieder zunichte», klagt Stoffel.

Aber auch die Krankenkassen stellen immer mehr Forderungen. Urs Stoffel erklärt: «Heute kann ich nicht mehr einfach eine Diagnose stellen und den ­Patienten operieren. Dafür braucht es eine Kostengutsprache, die mit einem zum Teil sehr hohen Aufwand verbunden ist.» Der gestiegene administrative Aufwand belaste auch andere freie ­Berufe im Gesundheitswesen, Apotheken und Spitäler. Urs Stoffel ergänzt: «Ich mache mir Sorgen, dass Spitäler an ­Attraktivität für Ärzte verlieren, denn dort haben sie immer weniger Zeit für die Patienten.» Um international wettbewerbs­fähig zu bleiben, müssen einerseits Aufwand und Ertrag bei jeder neuen ­Regulierung abgewogen werden. Andererseits befürwortet Urs Stoffel die Förderung der Digitalisierung, die zu einer Reduktion des administrativen Aufwands führt: «Hier hinkt die Schweiz noch hinterher.» Wir bleiben unbedingt dran. ­•