Über Gefühle reden ist wichtig

Psychische Gesundheit   Wie geht’s dir? Dies ist nicht nur eine alltägliche Frage, sondern auch der Titel einer Kampagne, in deren Rahmen die Forschungsstelle sotomo die Bevölkerung kürzlich zu ihren Gefühlen befragt hat. Die Studie zeichnet einen einzigartigen «Atlas der Emotionen».
Christina Bösiger


Foto: Andrea Piacquadio von Pexels

Psychische Erkrankungen gehen uns alle etwas an, denn gemäss Experten erkrankt jeder zweite Mensch einmal in seinem Leben auch psychisch. Es lohnt sich also, in die Prävention von psychischen ­Erkrankungen und in die Förderung der psychischen Gesundheit zu investieren. Denn je ­früher eine Erkrankung behandelt wird, desto günstiger ist der Heilungsverlauf. Im Auftrag der Kampagne «Wie geht’s dir?», die 2014 von den Kantonen Zürich, Schwyz, Luzern und Bern sowie der Stiftung Pro Mente Sana ins Leben ­gerufen worden ist und seither von vielen anderen Deutschschweizer Kantonen und der Gesundheits­förderung Schweiz unterstützt wird, hat die ­Forschungsstelle sotomo die ­Bevölkerung zu ihren Gefühlen ­befragt. Insgesamt haben sich 9279 Personen aus der Deutschschweiz zu 46 Emotionen geäussert und dadurch die Grundlage für die Studie ­«Atlas der ­Emotionen» gelegt, die am 8. Juli im Zürcher Kulturhaus Kosmos vorgestellt wurde. Einerseits zeigt der neuartige Atlas die wichtigsten Gefühle der Menschen in der deutschsprachigen Schweiz und andererseits auch, welche Emotionen und Gefühle am positivsten und welche am negativsten bewertet werden.

Corona-Zeit hat sich negativ auf die Grundstimmung ausgewirkt

«Wichtig war für uns unter ­anderem die Frage nach den sichtbaren und den unsicht­baren Emotionen», ­erklärte ­Michael Hermann, ­Leiter der Forschungsstelle ­sotomo. «Von welchen Emotionen meint man, man sehe sie einem nicht an, und welche sind einem ins ­Gesicht geschrieben? Worüber sprechen die Menschen und welche Emotionen behalten sie lieber für sich?» Untersucht wurde auch, welche Gefühle während der ­Corona-Zeit an Bedeutung gewonnen respektive verloren haben. Bei diesem Punkt gab fast die Hälfte der Befragten an, dass sich die Krise negativ auf ihre Grundstimmung ausgewirkt habe, vor allem Frauen oder jüngere Menschen. Allerdings verstärkten sich in dieser Zeit auch die Gefühle Dankbarkeit, ­Zufriedenheit oder Liebe. «Manchmal braucht es eine Krise, um zu merken, wie privilegiert wir sind», sagte Michael Hermann. Allerdings haben gemäss der ­Studie auch Stress, Unsicherheit und das Gefühl der Machtlosigkeit ­zugenommen. Diese negativen Gefühle wurden jedoch seltener erwähnt. 

Über positive Gefühle wird gerne gesprochen

Der Atlas der Emotionen zeigt zudem auf, dass in der Deutschschweiz zwar gerne über Gefühle geredet wird – jedoch hauptsächlich über positive. Über Belastendes wird leider immer noch zu wenig gesprochen und negative Gefühle werden sogar verschwiegen. ­«Befragte denken, dass man ihnen die meisten negativen ­Gefühle nicht anmerkt», erklärte Michael ­Hermann weiter, «doch ob dies daran liegt, dass Betroffene solche ­Gefühle gegen aussen überspielen oder ob das Umfeld unaufmerksam ist, können wir anhand der Untersuchung nicht sagen. Wahrscheinlich spielen dabei beide ­Aspekte mit.» Für den Erhalt der psychischen Gesundheit sei es jedoch wichtig, dass man auch über ­negative Emotionen sprechen kann, ergänzte Fabienne Amstad, Fachspezialistin für Psychische Gesundheit und Leiterin ­Programmentwicklung bei Gesundheitsförderung Schweiz. Dies entlaste und mache Hilfe erst möglich. Die ernst gemeinte Frage «Wie geht’s dir?» könne dabei ein wichtiger Türöffner sein. ­Fabienne Amstad betonte zum Schluss, wie wichtig es ist, achtsam zu sein – sich, ­seinen Gefühlen und anderen Personen gegenüber. Dazu gehöre es, das Gespräch zu suchen, mit ­Menschen im Austausch zu sein und bei Bedarf Hilfe zu holen oder anzubieten. Zusätzlich ­verwies sie auf weitere ­Tätigkeiten, die guttun: «Sich bewegen und an die frische Luft gehen», seien ­beispielsweise die in der Studie am ­meisten genannte Mittel gegen negative ­Gefühle.

Die komplette Studie steht Interessierten ab sofort unter www.wie-gehts-dir.ch zum Download bereit.