Die Zeit ist reif für verschiedene Veränderungen im Gesundheitswesen. Denn Fortschritte, die im Normalfall Jahre brauchen, können jetzt dank der Zeitqualität unerwartet schnell umgesetzt werden.
Hans Wirz
In der Folge einige der fördernden Entwicklungen im Gesundheitswesen. Supportiv im Sinne von anregend.
Support für Antibiotika
Der Bedarf an neuen Antibiotika ist sehr dringend – und doch scheinen die pharmazeutischen Unternehmen für entsprechende Forschung und Entwicklung nicht wirklich motiviert zu sein. Offensichtlich, weil sich damit nicht das grosse Geld verdienen lässt. Jedenfalls hat der Weltpharmaverband IFPMA den «AMR-Fond» gegründet, der sich als Risikokapitalgeber an Biotechfirmen beteiligen kann – man will damit den Zusammenbruch dieses wirtschaftlich uninteressanten Forschungsbereichs verhindern. Das Ziel ist, in zehn Jahren mehrere neue Wirkstoffe zu finden. Jährlich sterben wegen fehlender Antibiotika um die 700 000 Menschen. Tendenz: rasch steigend. Fachleute rechnen damit, dass wir ohne neue Antibiotika in eine Katastrophe schlittern, die die gegenwärtige COVID-19-Pandemie weit in den Schatten stellen wird.1
Fazit HealthPoint: Einmal mehr warnen die Fachleute vor einem «Infektionsbrand» und empfehlen eine «Feuerwehrübung» – die jetzt fällig wäre. Ob die Behörden und die Politik aus der gegenwärtigen Situation lernen und nicht erst reagieren, wenn uns der wirksame Stoff ganz ausgeht? Basierend auf den bisherigen Reaktionen in Sachen menschliche Vernunft kann man leider nicht allzu optimistisch sein, wenn es um gesunde Voraussicht geht …
Support für Patienten
Mit «myCare Start» hat pharmaSuisse ein neues Geschäftsfeld getestet. Es geht dabei um die Sicherstellung der Therapietreue bei Beginn einer chronischen Krankheit. Konkret: Nach Erstbezug eines neuen Medikamentes sollen zwei «Nachsorge-Konsultationen» den Betroffenen die Sicherheit geben, die Therapie verlässlich zu betreiben respektive zu optimieren. Es geht in der Hauptsache um den maximalen Therapienutzen bei Kreislaufkrankheiten, Krankheiten des Nervensystems oder bei psychischen Krankheiten und Verhaltensstörungen. Als Nächstes wird mit den Versicherern zu den Kosten zur Implementierung des Programms und zur Rückvergütung verhandelt.2
Fazit HealthPoint: Oft sind es kleine Fortschritte, die die Nützlichkeit der Apotheken steigern – und damit das Image des Berufsstands. «myCare Start» ist dafür ein bescheidenes, aber trotzdem schönes Beispiel.
Support für die Bevölkerung
Telemedizin ist stark im Kommen. Schon seit einigen Jahren, aber jetzt stark gefördert durch COVID-19. Das haben viele Apotheken hautnah auch in der Schweiz erlebt. In den USA sind auch die Arztpraxen entsprechend herausgefordert – rund siebzig Prozent der Arztbesuche seien eh überflüssig und könnten digital ersetzt werden, schätzt der Amerikanische Ärzteverband AMA. In Schweden ist der «Smartphone-Doktor» inzwischen ein Boom, gesellschaftlich längst akzeptiert. Nicht zuletzt, weil «digital» sicherheitsrelevante Kontakte zu anderen kranken Menschen minimiert. Ausserdem passt «digital» bestens in den Lebensstil vor allem von jungen Menschen. Die gerne mal auf die Schnelle Abklärung und Unterstützung suchen – auch in Bagatellfällen. Was allerdings die Kosten des Gesundheitssystems hochtreibt.3
Fazit HealthPoint: Unter dem Druck des modernen Lifestyles wird auch bei uns die Bevölkerung mehr digitale Unterstützung suchen. Wenigstens in Bagatellfällen respektive um sich «sicher fühlen zu können» oder um Zeit zu sparen. Arztpraxen, Apotheken, Versicherungen, Spitälern und Therapeuten eröffnen sich so neue Möglichkeiten – es gibt ein neues Konkurrenzfeld. Aber auch neue Möglichkeiten der branchenüberschreitenden Zusammenarbeit.
Support zugunsten der Gesundheit
Bezüglich der Gesundheit spielt die Ernährung eine grosse Rolle, was aber in der Praxis noch zu wenig wahrgenommen wird. Teilweise weil die Umsetzung kompliziert ist. Zwecks Vereinfachung gibt es schon seit Längerem in manchen Ländern das «Ampel-System»: Ein Aufdruck (in fünf Farben) auf den Verpackungen, der den Kunden auf einen Blick vermittelt, wie «gesund» das angebotene Lebensmittel ist. Über das Ampel-System wurde seit Jahren in der Schweiz – aus verschiedenen Gründen – erfolglos gestritten. Nicht zuletzt wegen der Vielfalt der Berechnungsmethoden; jetzt hat man sich offenbar auf «Nutri-Score» geeinigt, in Harmonie mit der EU. Migros und Coop starten demnächst entsprechende Versuche.1, 3, 4
Fazit HealthPoint: Die Wirtschaft sperrte sich lange gegen das Label, weil dieses «den Konsum bremsen» könnte. Jetzt soll es Schritt für Schritt eingeführt werden. Endlich.
Support für Körper und Geist
Joggen und Boxen werden als gesundheitsfördernd wahrgenommen, Yoga und Pilates eher als schöner Zeitvertreib. In Wirklichkeit sind beide gesundheitsfördernd, Yogastunden sind vermutlich sogar die meistbesuchten Kurse und Aktivitäten im Fitnessbereich. Der Wechsel von Spannung und Entspannung stärkt offenbar nicht nur den Körper, sondern belebt auch den Geist. Dasselbe kann man auch von Pilates sagen, bei dem der Fokus auf der Belebung des Beckenbodens, der Bauch- und der Rückenmuskulatur liegen. Der grosse Vorteil von alternativen Bewegungsprogrammen liegt in ihrer Steuerbarkeit: Abhängig vom individuellen Zustand des Körpers liegt es immer im Ermessen des Einzelnen, die Bewegungen so intensiv wie individuell passend auszuführen – man kann dementsprechend «nichts falsch machen». Wichtiger als die körperliche Ausführung ist die Freude am Tun.1
Fazit HealthPoint: Letzteres ist der Grund dafür, dass in den dominierenden Bewegungstrainings mit dem Körper auch die Seele «trainiert» wird. Ganzheitlichkeit steht also im Vordergrund. Sollten deshalb nicht die medizinischen Fachgeschäfte Bescheid wissen, wenn nach sinnvollen Bewegungstrainings gefragt wird?
Support für Teilzeitarbeit
Es gibt in der Schweiz über 800 000 Menschen (Erwerbslose, Teilzeitarbeitende, die länger arbeiten möchten, Ausgesteuerte usw.), die stellenlos sind; gleichzeitig sucht man im Ausland billige Arbeitskräfte. Schuld an der schwierigen Situation sind steuerliche Fehlanreize, Mangel an Homeoffice-Möglichkeiten, unzulänglich organisierte Kinderbetreuung, Pensionierung mit 65 Jahren usw. Es braucht also ein grösseres Umdenken und Support, damit die Bevölkerung soviel arbeiten kann, wie sie eigentlich möchte.3
Fazit HealthPoint: Einerseits hört man Klagen über zu erwartenden oder bereits spürbaren Mangel an Fachkräften, andererseits bedeutet der Import von ausländischen Arbeitskräften – inklusive Familiennachzug – enorme Kostensteigerungen beispielsweise in Sachen Verkehr und Infrastruktur, in den Schulen, im Gesundheitswesen und andernorts. Eine Pattsituation? Sind wir festgefahren im Erfolg der letzten Jahrzehnte? Fehlt es an Risikobereitschaft? So oder so: Die Realität hält sich nicht an Prognosen, sondern an veränderte Wertvorstellungen und wechselnde Erwartungen der Menschen. Veränderungen erzeugen Druck. Diesbezüglich kann die andauernde Bedrohungslage auch der Teilzeitarbeit Schwung verleihen.
Quellen: 1 NZZ am Sonntag, 2 pharmaSuisse, 3 NZZ, 4 OTXWORLD