Nachdem der Pharmaindustrie in den letzten Jahren durch den Bundesrat massive Preissenkungen aufs Auge gedrückt wurden – auch weil das in der Bevölkerung sehr populär war –, mussten die Anbieter neue Ertragsmodelle erfinden. Da kommen Gentherapien gerade richtig.
Hans Wirz
Das im Moment teuerste Medikament kommt von Novartis, soll Muskelschwund heilen und kostet 2,1 Mio. Dollar. An diesem Preis werden sich zukünftige Gentherapien orientieren …
Spitzenmedizin kann Spitzenresultate erzielen. Beispielsweise, indem man einzelne Gene manipuliert respektive ersetzt. Der Austausch hat den Nutzwert von Therapien in bisher undenkbare Höhen katapultiert. Ebenso die Kosten – und das wird zu den wichtigsten Diskussionen der kommenden Jahren führen.
Heilung statt nur Abbremsung
Der medizinische Hochsprung ermöglicht die Sensation: Beispielsweise bei Krebserkrankungen wird Leben dank Medikamenten nicht mehr nur um Monate (und meist mit erheblichen Nebenwirkungen) verlängert, sondern im besten Falle werden die Patienten sogar geheilt. Gleichzeitig sprengen neue Vorstellungen alle bisher üblichen Preise. Man stützt sich dabei auf den Mehrwert. Kein Wunder, sind deshalb heute (laut US-Branchenverband PhRMA) zurzeit fast 300 Zell- und Gentherapien in klinischer Erprobung – alle wollen an die Goldquelle, die offenbar bald sprudeln wird. Ganz sicher kann man allerdings nicht sein; in der Regel geht es im Geschäft um seltene Krankheiten, bei denen riesige Forschungs- und Entwicklungskosten bei nur relativ sehr wenigen Nutzern verrechnet werden können. Mit dabei im Rennen um lukrative Geschäfte sind Novartis und Roche. Offenbar rechnet man vor allem bei Babys und Kindern mit der Bereitschaft in der Öffentlichkeit, Millionenbeträge für Medikamente lockerzumachen. Das im Moment teuerste Medikament kommt von Novartis, soll Muskelschwund heilen und kostet 2,1 Mio. Dollar. An diesem Preis werden sich zukünftige Gentherapien orientieren …1, 2, 3
Fazit HealthPoint: Die irren Preise für die Heilung von immer mehr Krankheiten lässt die alte Frage wieder aktuell werden, wie viel denn ein Menschenleben wert sei? Wie weit soll und kann Solidarität gelebt werden? Was sind die Prioritäten, wenn es um die Verteilung von Geld geht? Müsste nicht das Schwergewicht in der Forschung eher beispielsweise auf sichereren Medikamenten für Schwangere und Kleinkinder liegen? Über solche Fragen entscheiden die Unternehmen – immer entsprechend (auch) ihren langfristigen finanziellen Zielen.
Versteckenspiel …
Angesichts des Anstiegs von extrem teuren Arzneimitteln, beispielsweise über 100 000 Franken je Jahr pro Patientin oder Patient, versucht das BAG laufend, die «Listenpreise» der Hersteller herunterzuhandeln. In den USA beispielsweise um 25 bis 30 Prozent. In der Schweiz liegen die Rabatte zwischen 5 und 55 Prozent. In praktisch allen Ländern der Welt werden die Resultate solcher Preisermässigungen geheim gehalten; natürlich, um nicht andernorts entsprechende Gelüste zu wecken.3, 4
Fazit HealthPoint: Man sollte nicht vergessen, dass Preisnachlässe auch dazu dienen, in armen Ländern Medikamente umso günstiger abgeben zu können – eine Art «Subvention», die durchaus positiv zu werten ist. Als Zeichen von Solidarität.
… und eine Lotterie
Offenbar weil der oben genannte Preis von 2,1 Mio. Dollar als imageschädigend eingestuft werden kann, hat sich Novartis dazu entschlossen, hundert Therapien zu verlosen. Ein wichtiger Hintergrund dürfte sein, dass die Krankenkassen ganz unterschiedlich dazu bereit sind, sehr teure Medikamente zu vergüten – Glücksache, wenn man bei der «richtigen» Krankenkasse versichert ist. Eigentlich ist auch das eine Lotterie. Deshalb sollte man die von Novartis angebotene Verlosung nicht einfach als Gag verstehen, sondern als «Chance für verzweifelte Eltern» sehen.1, 4
Fazit HealthPoint: Gibt es bald eine normale Form des Sponsorings: Die Verlosung von medizinischen Leistungen, die sich Durchschnittseltern nicht mehr für ihre Kinder leisten können? Ein ungutes, aber symptomatisches Gefühl bleibt: Ökonomie kommt zunehmend vor medizinischer Dringlichkeit. Die Lösung «Verlosung» der Novartis löste einen enormen Shitstorm aus, sodass nun die Verlosung offenbar kurz vor Drucklegung dieses HealthPoint-Magazins abgeblasen wurde – wie Roche (für ein ähnliches Produkt) will man nun ein anderes Härtefallprogramm entwickeln.
Herr Trump lässt grüssen
Wer ausserhalb der USA erfolgreich arbeitet, muss mit einem Bannstrahl von Präsident Trump rechnen. Beispielsweise mit Strafzöllen. Besonders erfolgreich ist in Sachen Business die schweizerische Pharmabranche, deren Exporte beinahe die Hälfte der schweizerischen Ausfuhren ausmachen. Und da Herr Trump möglichst alle Länder mit Aussenhandelsüberschüssen «bestrafen» will, habe er auch Pharma Schweiz bereits im Visier. Davos hin, Bundesrat Maurer her, Gefühle spielen bei Strafaktionen keine Rolle. Dazu stuft der Präsident die Notwendigkeit der Verbilligung der Medikamentenpreise für die Bevölkerung als «Auftrag» ein. Verständlicherweise.3
Fazit HealthPoint: Obwohl die schweizerische Pharmaindustrie in den USA mehr Geld in Forschung und Entwicklung investiert als jedes andere Land, wird die Schweiz auf dem Radar von Kongress und Präsidentschaft bleiben. Mittelfristig wird die Pharmaindustrie zusätzlich qualifizierte Arbeitsplätze in die USA verlagern – der Standort Basel ist gefordert und wird viel verlieren. Das wird auch in anderen Branchen passieren, da die Schweiz absehbar an Attraktivität verlieren wird – schon nur, um beispielsweise gegenüber der EU «normaler» zu werden. Unter dem Stichwort Herunternivellierung.
Netter Versuch
Die Kosten für Medikamente setzen sich zusammen aus Forschung, Entwicklung, Herstellung, Vermarktung und Weiterentwicklung – leicht zusammenzählbar. Bei den Erträgen wird es schwieriger: Wie viele Einheiten können zu welchen Preisen (dank Patentschutz) in den ersten zehn Jahren abgesetzt werden? Da geht es um Schätzungen, konkurrenzierende Therapien, gesetzliche Vorgaben und Nutzen. Im Grunde genommen ist das Pharmageschäft ein kapitalintensives Hochrisikospiel über Jahre. Das Resultat: nicht immer tolle finanzielle Ergebnisse trotz sehr hohen Verkaufspreisen. Letztere sollen zugunsten der Bevölkerung «endlich» sinken; entsprechende Vorschläge gibt es immer wieder. Bizarres Beispiel: Verlagerung der Forschung, Entwicklung, Herstellung und Vertrieb zum Staat. Zu diesem Modell gibt es keinerlei handfeste Zahlen – man will einfach «die Abzocke» abstellen.
Ernster zu nehmen ist ein Vorstoss der Universitätsspitäler: Sie planen, in absehbarer Zeit ihre Patientinnen und Patienten mit selbstentwickelten Zelltherapien zu heilen. Man will Krebsheilung zum halben Preis anbieten. Die gemeinsame Plattform der Universitäten, ein «akademisches Kompetenzzentrum für Zelltherapien», kann offenbar bereits «vielversprechende Resultate» vorlegen. Aus der Sicht der Politik wird das Projekt begrüsst. Auch die beiden Verbände Santésuisse und Curafutura unterstützen die Pläne der Universitätsspitäler.1, 4
Fazit HealthPoint: Die Zielsetzungen der Universitätsspitäler können als Angriff verstanden werden. Und Konkurrenz belebt auch in diesem Fall das Geschäft. Mit gleichzeitigem Fortschritt für die Patientenschaft. Es gibt sie also noch, die Kreativität im Gesundheitswesen. Wir bleiben dran. •
Quellen:
1 NZZ am Sonntag, 2 Sonntagszeitung, 3 NZZ, 4 20 Minuten