Telemedizin: Interview mit Prof. Thomas Krech
Start-ups im Digital-Health-Bereich gibt es einige. Doch wohl keine Firma war ähnlich gut zur rechten Zeit am richtigen Ort wie Misanto. Dieses Familienunternehmen schlug mit ihren Dienstleistungen während der Coronakrise ein wie eine Bombe. Medizinische Beratung via Chat und PCR-Test zu Hause haben nicht nur die Behörden im Kanton Thurgau überzeugt.
Markus Meier
Im Interview: Prof. Thomas Krech
Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie der Universität Düsseldorf, FAMH Mikrobiologie/Immunologie (CH), Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie (D), Swiss Tele-Health Center (STHC) MiSANTO AG, Frauenfeld
Seit wann gibt es die Misanto-App?
Wie kam es zu diesem telemedizinischen Angebot?
Prof. Thomas Krech: Unsere App ist seit Anfang 2020 im Apple- und im Google-Play-Store erhältlich. Die Idee hat sich über die letzten zehn Jahre entwickelt. Sie mündete in der Erkenntnis, dass wir an einer Schwelle stehen, an der die Gesundheit mobil wird und auf dem Smartphone stattfindet. Daher unser Slogan «Your health in your pocket». Es gibt bereits viele medizinische Apps für ganz bestimmte Anwendungen, bei deren Benutzung Daten anfallen. Damit für das Gesundheitswesen daraus ein Nutzen entsteht, müssen diese Daten für den Benutzer gesammelt werden. Erst dann kann eine ganzheitliche Betrachtung stattfinden, die sowohl für Patienten wie für Ärzte Mehrwerte generiert. Das Eidgenössische Patientendossier EPD erfüllt diesen Anspruch noch nicht. Mit der Misanto-App jedoch hat der Benutzer jederzeit sicheren Zugriff auf seine Gesundheitsdaten und entscheidet, mit wem er welche Daten teilen will. Als Patient geht das zum Beispiel über eine besondere Funktion, welche die notwendigen Informationen auf den Bildschirm seines Hausarztes «beamt». Wir sind also auf dem Weg von der analogen zur digitalen Gesundheitsversorgung. Die künstliche Intelligenz unterstützt uns in der ärztlichen Tätigkeit. Der Patient erstellt mit unserem Symptom-Checker die Anamnese schon selbst, bevor er mit dem Arzt oder der Ärztin in ein Gespräch eintritt.
Wie erklären Sie einem Laien, welchen Zweck diese App hat und wie sie funktioniert?
Die App stellt dem Benutzer drei Hauptmodule zur Verfügung: Den Symptom-Checker, den Chat mit einem Misanto-Arzt oder einer Misanto-Ärztin sowie die verschlüsselte Ablage seiner Gesundheitsdaten.
Die Patientinnen und Patienten haben die Möglichkeit, ihre Daten und Arztberichte direkt bei Misanto zu speichern. Wie garantieren Sie die Sicherheit?
Die Server stehen in der Schweiz in einem Hochsicherheitstrakt mit kontrolliertem Zugang. Damit die Daten auch noch sicher sind, wenn die Verschlüsselung geknackt werden sollte, haben wir ein patentiertes Programm für eine halbautomatische Depersonalisierung entwickelt. Darunter versteht man eine Pseudonymisierung und De-Identifizierung. So abgelegte Daten können endgültig nur noch durch den Benutzer selbst seiner Person zugeordnet werden. Gleichzeitig eignen sie sich für die Datenspende zu Studienzwecken.
In der Coronakrise haben Sie rasch reagiert und neue Dienstleistungen entwickelt. Woraus besteht Ihr Angebot, das in der Tagespresse für Aufsehen gesorgt hat?
Es war vielmehr der Krisenstab des Kantons Thurgau, der rasch erkannte, dass wir mit unserer neuartigen telemedizinischen Dienstleistung die Hotlines des Gesundheitsamts, der Notfallpforten und der Arztpraxen entlasten können. Getragen durch die von Politik und Geschäftswelt breit abgestützte Initiative «Smarter Thurgau» konnten wir schnell Fuss fassen. Der von uns selbst entwickelte Symptom-Checker eignet sich gut für die Triage. Mit der in die Technologie eingebauten Flexibilität können unsere Ärztinnen und Ärzte die Abklärungsgänge schnell auf die aktuellen Bedürfnisse abstimmen. Zusammen mit unserem Ärzte-Chat führte dies rasch zu einer Entlastung der ärztlichen Hotlines. Da wir den ganzen Behandlungsprozess anbieten wollen, war es folgerichtig, dass wir die mobile Beprobung der Patientinnen und Patienten zu Hause gleich auch implementiert haben.
Ursprünglich waren Sie ein Familienbetrieb. Wie ist Ihr Unternehmen seit Anfang 2020 gewachsen und was planen Sie?
Ursprünglich war ich alleine und wurde sehr bald finanziell und fachlich von den Early-Bird-Aktionären – überwiegend Ärzte – unterstützt. Mit einem früheren Mitkämpfer aus der Gründungszeit meines medizinischen Labors, Mike Franz, baute ich das IT-Entwicklungsteam auf, das überwiegend bei der Firma Netcetera angesiedelt ist. Als die Last zu gross wurde und sich meine Frau aus der Administration zurückzog, stiegen meine beiden Töchter ins operative Geschäft ein. Nachdem wir nun keine vier Monate nach dem Start wissen, dass wir funktionieren, streben wir die Expansion in Europa an.
In Ihrem Alter gehen andere in Pension. Was treibt Sie an, ein Start-up auf die Beine zu bringen und nicht nur finanziell viel zu riskieren?
Die Pensionierung hatte ich eigentlich mit 55 Jahren angestrebt. Da ich dieses Ziel verpasst habe, kann ich mit 66 Jahren gleich weitermachen (lacht). Denn die Arbeit fühlt sich immer noch so an wie mit 55. Das finanzielle Risiko war bei meiner zweiten Firmengründung im Alter von 42 Jahren etwa gleich hoch wie jetzt. Die Risikofreude zieht sich durch mein Leben und endet nicht mit 65. Es macht viel Freude, diese Revolution in der Medizin noch mitgestalten zu dürfen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Wo sehen Sie Entwicklungsmöglichkeiten für Ihre Firma?
Man weiss natürlich nie genau, wohin die Reise führt und wo sich Türen aufstossen lassen, durch die man hindurchgehen kann. So wie jetzt auch die COVID-19-Endemie niemand voraussehen konnte. Wir sind mit unserem vom Kanton Thurgau zum Jahreswechsel bewilligten Telemedizinischen Dienstleistungszentrum so ausgerichtet, dass sich unser Angebot über die ganze Breite der Medizin bis hin zur Zahnmedizin erstreckt. Da sich über die Hälfte der medizinischen Probleme telemedizinisch lösen lassen und der Patient keinen Arzt zu sehen braucht, können wir dem drohenden Ärztemangel entgegenwirken. Durch die Digitalisierung sind unsere Dienstleistungen skalierbar, das heisst wenige Mediziner können viele Patienten bedienen. Damit sich die hohen Investitionskosten in die IT amortisieren lassen, streben wir eine Expansion über die Landesgrenzen an. Mit unserem günstigen, niederschwelligen, ortsunabhängigen Zugang zur Medizin werden wir auch in ärmeren Ländern zur Gesundheit der Bevölkerung beitragen können. •