Versorgungssicherheit Offenbar müssen wir lernen, mit Versorgungslücken bei Medikamenten zu leben. Aus welchen Gründen? HealthPoint hat darüber mit Marcel Plattner gesprochen, Präsident von vips, der Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz.
Hans Wirz
«Es gibt mehrere Gründe für verhängnisvolle Medikamentenengpässe. Zulassungsregulierungen und Preissenkungen bei Medikamenten, wie sie sich aus der dreijährlichen Überprüfung der Arzneimittel ergeben, haben die Pharmaindustrie in den letzten Jahren rund eine Milliarde Franken Marge jährlich gekostet», sagt vips-Präsident Marcel Plattner. «So etwas geht nicht spurlos an den Firmen vorbei. Im Klartext: Der Druck auf die Herstellungskosten ist gestiegen. Preise dürfen nicht so ins Bodenlose gedrückt werden, dass Medikamente in der Schweiz nicht mehr produziert oder verkauft werden können. Sonst laufen wir gerade in gesundheitlichen Krisen in gefährliche Engpässe hinein. Lebenswichtige Medikamente werden knapp und Dauertherapien müssen rationiert werden. Der Bund hat die Preise in den letzten Jahren so stark gesenkt, dass die Tagesdosis einzelner Medikamente heute weniger kostet als ein Kaugummi.» So der Gesprächspartner. Dies führe zu Abwanderung von Produktion und zu einer Monopolisierung. «Eine gefährliche Abhängigkeit, die einem Land wie der Schweiz mit einer aktuell noch sehr guten Gesundheitsversorgung unwürdig ist und die mit nationalen Zulassungs- und Preisregulierungen nicht noch gefördert werden darf. Hier gilt es klar, Gegensteuer zu geben.»
Marcel Plattner, Präsident der vips
Gefährdung der Versorgungssicherheit
Durch die Tiefpreispolitik müssen Patientinnen, Patienten und Leistungserbringer drastische Einschränkungen bei Versorgungssicherheit und -qualität in Kauf nehmen. Investitionen in Weiterentwicklungen von bewährten Produkten werden faktisch verunmöglicht und es kommt zu einer Ausdünnung des Angebots. Stattdessen gilt es, mehr Wettbewerb zu ermöglichen – nicht nur einen Preis-, sondern vor allem einen Qualitätswettbewerb, was dem Patienten zugute kommt.
«Eine wichtige Rolle in dieser Verknappung des Angebots spielen die Apotheken, die zum Glück dank ihrem Wissen in den meisten Fällen noch Ersatzlösungen für die Bevölkerung finden», betont Marcel Plattner. «Aber der Trend ist eindeutig: Das Tiefpreisdiktat drückt auf die Qualität der Versorgung.» Und führe zu einer negativen Entwicklung des Standortes Schweiz in Sachen Forschung und Entwicklung. «Die Zuverlässigkeit und Planbarkeit in Sachen Preisbildung – statt Willkür – ist ein wichtiger Faktor, wenn es um die Entwicklung der Schweiz als Pharmastandort geht.» Die Erhöhung der Gebühren bei Swissmedic und BAG um das Dreifache sei nicht förderlich, sondern bremse das Unternehmertum, auch müsse die Zulassung noch effizienter werden. Kurzum: Die Entwicklung Richtung «Billigstprinzip» verhindere die Freude an längerfristigen Engagements in der ohnehin bereits hochpreisigen Schweiz – «man ist gezwungen, ins billigere Ausland auszuweichen.» Besonders Klein- und Mittelbetriebe sind davon betroffen.
Wie die vips-Mitglieder reagieren
Die Corona-Krise hat die Medikamentenengpässe noch verschärft. «Die Betroffenheit ist je nach individueller Situation ganz unterschiedlich», so Präsident Marcel Plattner. «Aber ganz allgemein bedeutet die Covid-19-Krise einen massiven Mehraufwand. Viele Unternehmen mussten beispielsweise ihre Auslieferungskapazitäten für einige Monate verdoppeln und dann ab Juni wieder zurückfahren. Noch sind die Umsätze nicht auf dem gewohnten Niveau. Auch Homeoffice ist noch immer ein Thema, verbunden mit einem geänderten Informationsbedürfnis, damit die sozialen Belange stabil bleiben.» Politische Einflüsse, Unberechenbarkeiten und globalisierte Abläufe führen zu grossen Unsicherheiten und Ängsten. Umso mehr, als von einzelnen Ländern möglicherweise Ausfuhrverbote für gewisse Produkte drohen – zunehmend erschallt der Ruf nach mehr Eigenständigkeit und einer verlässlichen inländischen Versorgung, beispielsweise mit grossen Pflichtlagern. «Das kann aber nicht die Lösung sein. Denn für welche Produkte sollte man Pflichtlager anlegen?», so Marcel Plattner.
Was ändern?
«Ein erster Schritt könnte sein, sich Übersicht darüber zu verschaffen, wer in welchen Ländern welche Grundstoffe produziert. Auch braucht es eine spezielle Regelung für die Spitäler.» Nicht zielführend sei der allgemeine Trend, nach dem Prinzip der Opfersymmetrie vor allem Kostensenkungen anzustreben, statt differenziert die Nutzenorientierung in den Vordergrund zu stellen. «Man sollte auch immer wieder daran denken, dass – medizinisch gesehen – Medikamente nach wie vor die effizienteste Lösung zur flächendeckenden Heilung von Krankheiten sind und es sehr teuer sein kann, wenn ein Medikament nicht verfügbar ist», so Marcel Plattner abschliessend. «Was es deshalb vor allem braucht, um Engpässe bei der Medikamentenversorgung möglichst zu verhindern, ist der Abbau von übertriebenen Vorschriften und Gebühren.» Tatsächlich: Zu viel Staat hat auch im Gesundheitswesen schädliche Nebenwirkungen.
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