Lebenslang lernen in Etappen

Strukturwandel 5: Der hohe Frauenanteil im Gesundheitswesen hat Auswirkungen auf die Weiterbildungsgänge: Sie müssen sich mit Teilzeit- und Familienarbeit kombinieren lassen – zurzeit noch mehr als bisher. Für die Weiterbildungsinstitutionen ist (neben den Inhalten) gleichzeitig die Digitalisierung die grosse Herausforderung.
Mireille Guggenbühler

«Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.» Dieses Zitat wird einem der berühmtesten Schweizer zugeschrieben, nämlich Albert ­Einstein. Ihre Neugier stillen die meisten Schweizerinnen und Schweizer auch heute noch, allerdings in einem anderen Kontext, als dies Einstein getan haben mochte: Sie bilden sich kontinuierlich weiter und weitaus häufiger als viele andere Staatsbürger. 2016 besuchten fast 70 Prozent der Bevölkerung zwischen 25 und 64 Jahren eine Weiterbildung, in den EU-Mitgliedstaaten waren es rund 45 Prozent, wie das eidgenössische Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI schreibt. 

Lebenslanges Lernen scheint in der Schweiz also selbstverständlich geworden zu sein – sei es, um seine Fachkompetenz zu erweitern oder aber auch, um Verantwortung zu übernehmen, um mit dem schnellen Wandel in der Technik, Wirtschaft und Wissenschaft und den gesellschaftlichen Veränderungen mithalten zu können. Doch: Wie wirkt sich dieses Konzept des lebenslangen Lernens auf die Weiterbildungsinstitutionen im Gesundheitswesen aus? 

Weiterbildung muss ins eigene Leben passen

Damit das Gesundheitspersonal weiterlernen kann und will, muss die Weiterbildung ins Leben der Gesundheitsfachpersonen passen. Das sagt Fabian Schwab, Leiter Weiterbildung beim Departement Gesundheit der Berner Fach­hochschule BFH. «Der Frauenanteil in den Grundstudiengängen liegt bei 85 Prozent. Die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und späterer Weiterbildung ist deshalb wichtig. Das heisst, die Weiterbildung muss heute in die Karriere- und Familienplanung passen, zudem arbeiten viele Gesundheitsfachpersonen Teilzeit», sagt Fabian Schwab. Viele Weiterbildungsstudiengänge werden am Departement Gesundheit der BFH deshalb in Modulen angeboten. Sowohl Master of Advanced Studies (MAS) wie aber auch Zertifikatsstudiengänge können in Einzelstücke unterteilt und besucht werden. ­Zudem werden die Inhalte in möglichst kompakter Form angeboten. 

Kurzum: Die Kundenorientierung und ­Individualisierung sind in der Weiterbildung wichtiger denn je. Um individualisierte Lernprozesse möglich zu machen, ist aber nicht nur die Organisationsform einer Weiterbildung ent­scheidend, sondern auch die Art der Vermittlung. So wird in einigen Weiterbildungsstudien­gängen am Departement Gesundheit der BFH nach dem Modell des «flipped classroom» gear­beitet. Das bedeutet, dass sich die Studierenden zu Hause mithilfe von Lernmaterialien auf die Präsenzveranstaltungen vorbereiten. Sie eignen sich also in ihrem Tempo und individuell das Fachwissen für eine Lehrveranstaltung an. 

Nicht alles lässt sich digital vermitteln

Der digitale Wandel ermöglicht zudem weitere, individualisierte Lernformen – der Lockdown im Frühling hat diesen digitalen Wandel noch beschleunigt, wie Fabian Schwab sagt. Teile der Weiterbildung sollen künftig beispiels­weise als E-Learning angeboten werden. Die Digitalisierung findet aber auch Eingang in die Lerninhalte. «Wir haben den Anspruch, dass unsere Dozierenden ein Bein in der Praxis haben, um so am Puls der Zeit zu bleiben», sagt Fabian Schwab.

Doch trotz Individualisierung und Digita­lisierung: «Es gibt Bildungsinhalte, die sich schlecht auf Distanz vermitteln lassen, gerade im Bereich von selbstreflektiven Studiengängen», sagt Fabian Schwab. «Das komplexe und persönliche Thema Sucht beispielsweise ist auf Face-to-Face-Austausch vor Ort angewiesen.» Auch die Gruppenbildung der Teil­nehmenden funktioniere über rein digitale Kanäle weniger gut. «Sie ist aber wichtig und bringt die Teilnehmenden näher zusammen.» 

Individualisierte, digitalisierte Angebote kombiniert mit Bewährtem, das ist ein ansprechender Weg, um Weiterbildungen ­attraktiv zu ­halten. Das würde wohl auch ­Albert Einstein so sehen …