Das Mikrobiom des Darms Gehört das, was in der Verbindung zwischen Mund und Anus lebt, noch zur Aussenwelt? Oder ist es bereits Teil von uns? Gleich wie die Antwort ausfällt: Auf die meisten Untermieter in unserem Verdauungstrakt möchten wir nicht verzichten.
Jürg Lendenmann
Der menschliche Darm beherbergt ein komplexes und dynamisches Ökosystem aus Bakterien, Archebakterien und Einzellern.
Rund 100 Billionen Mikroorganismen bilden das Darmmikrobiom, von dem wir in vielfältiger Weise profitieren. So wie das Gehirn den Verdauungstrakt und mithin das Mikrobiom beeinflussen kann (Hirn-Darm-Achse), kann der Darm über von Darmbakterien gebildeten Neurotransmittern wie auch mit seinen einer Million Nervenzellen über Nervenverbindungen das Gehirn beeinflussen (Darm-Hirn-Achse).
Neuste Forschungen weisen darauf hin: Das Mikrobiom kann verschiedene Krankheiten in deren Entstehung oder Heilung beeinflussen. Beispiele sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Allergien und Lebererkrankungen sowie auch psychische Krankheitsbilder wie Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose und Depression.
Darmbewohner, die dick machen
«Das Mikrobiom beeinflusst nicht nur, was wir essen möchten – unsere Vorlieben –, sondern auch wie viel Energie wir aus der Nahrung ziehen», so Prof. Dr. Julia Seiderer-Nack, Fachärztin für Innere Medizin und Ernährungsmedizin in einer Sendung des Südwestrundfunks. Bakterien aus der Abteilung Firmicutes, so die Gastroenterologin, finden sich gehäuft im Dickdarm von Menschen mit Adipositas. Firmicutes kennzeichnen gute Futterverwerter, da sie bis zehn Prozent Energie aus der Nahrung ziehen können.
Aus dem Gleichgewicht
«Ganz ohne Anlass gerät das Mikrobiom meist nicht aus dem Gleichgewicht», so Prim. Univ.-Prof. Dr. Harald Hofer vom Klinikum Wels-Grieskirchen. «Lebensstil wie Ernährungs- und Bewegungsverhalten, Medikamenteneinnahme sowie Umweltbedingungen haben Auswirkungen auf die Zusammensetzung der persönlichen Darmflora.» Auch die Psyche kann das Mikrobiom stark beeinflussen, sagt Dr. Simon Feldhaus im Interview mit Ernährungscoach Julia Gruber: «Wir wissen heute, dass eine chronische Stressbelastung den gleichen Schaden an der Darmflora verursacht wie eine Antibiotikatherapie.»
Auch Bewegung kann sich nicht nur positiv auf die Gesundheit auswirken, wie eine Studie zeigt (DOI: 10.4414/smf.2018.03159): Intensiver Sport kann insbesondere bei Elite-Ausdauersportlern zu gastrointestinalen Beschwerden mit Symptomen wie Übelkeit, Reflux und der Läuferdiarrhö führen. Als wichtigster pathogenetischer Faktor wird der abnehmende gastrointestinale Blutfluss während des Sports beschrieben.
Einflussreiche Bauchspeicheldrüse
Die Zusammensetzung der Lebewesen im Darm ist einerseits erblich bedingt, andererseits kann sie durch Faktoren wie Ernährung, Rauchen, Alkoholkonsum und bestimmte Medikamente beeinflusst werden. Der stärkste Einflussfaktor ist jedoch die Bauchspeicheldrüse (Pankreas), wie eine Arbeitsgruppe um Prof. Markus M. Lerch an der Universitätsmedizin Greifswald bei 1800 SHIP-Probanden (Study of Health in Pomerania) kürzlich entdeckte (DOI: 10.1053/j.gastro.2018.10.047). Lerch: «Die Bauchspeicheldrüse kontrolliert die Artenvielfalt der Bakterien im Darm viel tiefgreifender als alle bisher bekannten Wirtsfaktoren wie Alter, Geschlecht, die Art der Ernährung oder zum Beispiel die Einnahme von Magensäureblockern.»
Wertvolles Darmmikrobiom
Die rund 100 Billionen Mikroorganismen im Darm haben wichtige Funktionen: Sie
• versorgen uns mit Vitaminen (B1, B2, B6, B12, K) sowie
• kurzkettigen Fettsäuren,
• unterstützen die Verdauung,
• modulieren das Immunsystem,
• bekämpfen Krankheitskeime,
• regen die Darmperistaltik an,
• versorgen das Darmepithel mit Energie,
• wirken entgiftend,
• u. v. a. m.