Strukturwandel verlangt kreative Weiterentwicklung In ihren Grundzügen sind wir bereits in der «neuen Wirklichkeit» angekommen – einer jahrelangen Verunsicherung politischer und wirtschaftlicher Art. Die nach hoher Flexibilität für neue kreative Lösungen verlangt. Aber zaubern können wir alle nicht, hingegen mit Innovationen punkten.
Hans Wirz
Grundsätzliche Veränderungen verlangen nach ganzheitlichem Denken. Was könnte auf uns zukommen? Was bedeuteten sie für unsere Planung? Überlegungen zu vier sich abzeichnenden Entwicklungen im Bereich «Arbeit».
Thema 1: Schrumpfung
Ganz allgemein wird ein Aufschwung der Wirtschaft erwartet respektive gerne prognostiziert. Man gibt sich allerdings positiv: Gemäss einer Expertengruppe des Bundes soll die Schweizer Wirtschaft im laufenden Jahr 2020 nur um 5 statt der bis anhin erwarteten 6,2 % schrumpfen. Respektive das Bruttoinlandprodukt BIP (gemäss Secco) um 3,8 %. Im nächsten Jahr soll der Exportsektor um 7 % zunehmen – wenn denn die Grenzen weitgehend offenbleiben, in anderen Ländern keine grossflächigen Betriebsschliessungen verordnet werden, der Konsum im Inland «normal» wird und einige andere positive Voraussetzungen mehr eintreffen. Auch den Arbeitsmarkt soll es weniger als befürchtet treffen: 3,2 % statt 3,8 % Arbeitslose. Nach international üblichen Methoden gemessen wären es allerdings 4,9 %. Interessant ist, dass trotz des Schlagworts «Fachkräftemangel» offenbar im Kanton Zürich nur 19,8 % der Eingewanderten fehlende Fachkräfte sind. Hingegen hat sich die Zahl der Bezüger von Arbeitslosen mit EU-Pass seit 2002 um 120 % mehr als verdoppelt.1,2
Denkanstösse HealthPoint: Die Hoffnung stirbt zuletzt. So erfreulich positive Zahlen sind: Die Riesensummen im Rahmen staatlicher Zuschüsse drohen bereits zu versiegen, die Stunde der Wahrheit bezüglich Verschuldung schlägt rund um den Globus. Wahrscheinlich bedeutet die extrem langsame Erholung einen sehr hohen Verlust von Existenzen. Einen massiven Strukturwandel wird es eben auch in der Schweiz geben. Die in noch viel grösserem Masse als bisher gefühlt von der Weltwirtschaft abhängig ist. Umso wichtiger ist, alles zu vermeiden, was die schweizerische Wirtschaft einengen könnte. Auf den Punkt gebracht: Die finanziellen Verpflichtungen und Ausgaben des Staates sind zu bremsen, Unternehmen müssen kreativer werden und neue Umsatzquellen erschliessen. Siehe dazu verschiedene Texte in dieser Ausgabe.
Thema 2: Arbeitslosigkeit
Lassen Sie uns noch einen Moment bei der drohenden Arbeitslosigkeit bleiben. Die in der Schweiz de facto nur dank dem exotischen Zählsystem relativ tief erscheint. In Deutschland, von dessen Entwicklungen wir ebenfalls mehr als gedacht abhängen, spricht man heute von einer «dritten Phase der Ernüchterung»: Die Erholung der Wirtschaft verliert an Schwung. Erwartet wird für 2020 – wie ungefähr in der Schweiz – eine Senkung des BIP um 5,4 % und 2021 ein Zuwachs um 4,7 %; 2022 um 2,7 %. Grund ist, dass die Pandemie länger dauern wird als erwartet. Nicht ohne gravierende Folgen auch für unser Land. Der Trend ist anhaltend, wird noch stärker werden: mehr billige und junge Arbeitskräfte aus dem Ausland, mehr Probleme für Ältere, rapide steigende Quote der Ausgesteuerten; ein Betroffener redet von «langsamem Erstickungstod – finanziell, gesundheitlich und sozial».1,3
Denkanstösse HealthPoint: Einerseits will oder kann die Wirtschaft ältere Mitarbeitende (ab 50) nicht mehr beschäftigen, andererseits könnte ein höheres Rentenalter eine Wachstumsstütze für die Wirtschaft werden respektive die Soziallasten verringern. Die offenbare Gegensätzlichkeit macht ratlos. Speziell, weil das Thema «Alter» ohnehin in etlichen anderen Belangen endlich umfassend angegangen werden müsste. Aber wachsende Arbeitslosigkeit unter den Älterwerdenden ist zentral, definiert sich Mensch doch häufig genug über seine Arbeitsfähigkeit – und damit seine Nützlichkeit. Massenentlassungen und Betriebsschliessungen werden 2021 allerdings auch viele jüngere Menschen treffen – ein neues Phänomen. Man muss mit mageren Jahren rechnen, folgerichtig auch mit massiven Steuerausfällen und rapide steigenden Sozialkosten. Andererseits wird die Krise auch neue kreative Energien wecken.
Thema 3: Heimarbeit
Homeoffice könnte der Ausdruck des Jahres 2021 werden. Denn bereits im laufenden Jahr hat sich die Heimarbeit weit verbreitet; insgesamt rund 7 % der Beschäftigten mussten sich umorganisieren. 80 % der Betroffenen hat sich gemäss einer Umfrage des Forschungsinstitutes GfS als «sehr» oder «eher sehr» zufrieden zu Homeoffice geäussert. Hauptgründe: Reduktion des Aufwands für das Pendeln, zu Hause produktiver arbeiten, positive Herausforderung. Eines ist klar: Die Zufriedenen wollen Homeoffice als permanente Organisationsform beibehalten. Heimarbeit wird sich in diese Richtung entwickeln. Zwei hauptsächliche Ängste werden die Entwicklung bremsen: Unsicherheiten bezüglich der Produktivität und Auseinanderfallen der sozialen Beziehungen.1,3
Denkanstösse HealthPoint: Tatsächlich bewirkt Homeoffice grössere Veränderungen. Etwa Entlastung im Verkehr, Weglassen und Neuentwicklung von Dienstleistungen, schnellere Digitalisierung, Wegfall von Geschäftsanlässen und -reisen, Umorganisation intern und im Haushalt, Verschiebungen von Verantwortungen, andere Arbeitsabläufe, grösseres gegenseitiges Vertrauen. Andere Kundenwünsche, weniger Umweltverschmutzung, Rationalisierung und andere Formen der Aus- und Weiterbildung. Das Modell Schweiz hat ziemlich viel Speck angesetzt – eine Entfettungskur kann in der Gesamthaftigkeit gesehen nur nützen. Und Platz schaffen für Neues.
Thema 4: Freelancing
Arbeitsplatzverluste und Homeoffice sind also grundsätzlich absehbar. Ein logischer nächster Schritt wäre die Verselbstständigung – allerdings nur für jene, die entsprechende Risiken eingehen können und wollen. Auf jeden Fall werden Arbeitsplätze vermehrt ausgelagert. An Freelancer? Sich selbstständig machen hat seine Tücken und seine Chancen für alle Beteiligten, aber Zukunft für Flexible. Wie sieht die Arbeitswelt von morgen aus? Zu Beginn der Pandemie haben sich Unternehmen eher von ihren temporären Angestellten getrennt, inzwischen wächst die Lust (und die Notwendigkeit), die Fixkosten zu senken und flexibler auf die Entwicklung der Absatzmärkte reagieren zu können. Umso mehr, als die «Normalisierung» der Nachfrage noch für Jahre auf sich warten lassen könnte – oder überhaupt nicht mehr stattfinden wird.1
Denkanstösse HealthPoint: Tatsächlich sind in den letzten 20 Jahren die Arbeitsplätze immer unsicherer geworden. Und die Entlassung älterer Arbeitskräfte (relativ kurz vor der Pensionierung) löst kaum mehr Schamgefühle aus. Absehbar ist, dass in Zukunft speziell Projekte an spezialisierte Kleinunternehmen ausgelagert werden. Die sich ihrerseits je nach Situation vernetzen, um Effizienz und Kreativität erhöhen zu können. Auch das Gegenteil kann stattfinden, Insourcing: Die Verlagerung von aussen erbrachten Leistungen «nach Hause». Beispielsweise um neue Gesamtpakete anbieten zu können. So gesehen können gegenwärtige Problemsituationen auf «Erfolg» umgepolt werden. Haben Sie eine Vorwärtsstrategie? •
Quellen:
1 NZZ , 2 Weltwoche, 3 NZZ am Sonntag, 4 Corona Transition, 5 Deutsches Rotes Kreuz