Plötzlich ist alles anders: Die Pandemie hat alles im Griff, der Mensch nur noch wenig, was die Pandemie betrifft. Gesundheit ist mehr denn je auch Glücksache, das Gesundheitswesen am Rande der Möglichkeiten. Wir stochern in dickem Nebel. Täglich werden wir von Bildern und mit Wortgewalt überrollt; Big Government hat übernommen. In der Folge einige Tendenzen zum Nachdenken.
Hans Wirz
Unsicherheit dominiert. Was zudem nervt, ist die Bedrohung in wirtschaftlichen Belangen. Zwar haben die Regierungen sofort und weltweit mit einem dichten Geldteppich die negativen Folgen der Situation zu ersticken versucht. Das ist sehr hilfreich und beruhigt teilweise. Weltweit macht sich hingegen die Angst breit, dass besonders die kleinen und kleinsten KMU infolge der von den Staaten befohlenen Einschränkungen existenziell betroffen sein werden. Immerhin kann man sich auf die Innovationskraft der Kleinstbetriebe verlassen; manche werden unternehmerische Auswege finden.
Nun zu drei neuralgischen Entwicklungen.
Stimmung der Hilflosigkeit
Zurzeit (Anfang April) signalisiert die Situation wirtschaftlichen Stillstand. Tatsächlich findet der Detailhandel nicht mehr statt – ausser in den Lebensmittelgeschäften, Apotheken und Drogerien. Die meisten Industrie- und Handwerksbetriebe arbeiten noch, immerhin. Entscheidend wird sein, wie lange die gefühlte alltägliche Lähmung dauert. Und wie sich nachher die Nachfrage entwickelt. In der Schweiz arbeiten in den gesperrten und betroffenen Branchen über eine halbe Million Leute, inklusive rund 330 000 Selbstständigerwerbende. Bei einem heftigen Verlauf der Corona-Krise könnte sich deren Auswirkungen mehrere Jahre negativ auf die Wirtschaft auswirken – aber auch erneuernd. Die Pandemie überfordert die Spitäler und leert offenbar die Sprechzimmer der Hausärzte – wegen der Angst vor körpernahen Kontakten werden reihenweise Routinebesuche auf unbestimmte Zeit verschoben oder abgesagt. Wobei inzwischen die telefonische Beratung intensiv betrieben wird. Aber alle Praxen erleiden offenbar grosse Einnahmeverluste; Kurzarbeit wird wohl bald (oder ist inzwischen schon) flächendeckend eingeführt.1, 3
Fazit HealthPoint: Zahlen ändern sich laufend und spiegeln zunehmend dramatische Situationen: Da die Amortisationskosten teurer Geräte und Raummieten usw. weiterlaufen, wird es rasch zu finanziellen Engpässen kommen. Und zum Verlust der Versorgungssicherheit auf breiter Basis. Was echt Sorge macht, ist das offensichtliche Fehlen von Szenarien zum Ankurbeln von neuen Lösungen nach der Pandemie.
Detailhandel wird umgekrempelt
Angesichts geschlossener Läden erlebt der Versandhandel definitiv einen ungeahnten Schub. Wer kann und kreativ genug ist, hat inzwischen die Vermarktung via Post oder Abholungsangeboten angekurbelt – was Laden- und Restaurantumsätze zwar nicht ersetzt, aber doch neue Kanäle öffnet. Migros und Coop klagen einerseits über massive Umsatzeinbussen in verschiedenen Geschäftszweigen, können andererseits den Ansturm auf die Hauslieferdienste nicht wunschgemäss bewältigen. Im Lebensmittelbereich können die beiden orangen Riesen die teure «Aktionitis» drosseln – die Kunden stürmen die Läden ohnehin und schauen nicht mehr so gross auf Rabatte. Ganz allgemein wird angenommen, dass das Virus die Einkaufsgewohnheiten über das Ende der Pandemie hinaus stark verändern wird: Ganze neue Käufergruppen probieren momentane neue Einkaufsgewohnheiten aus – und gewöhnen sich daran.1, 3
Fazit HealthPoint: Die Detailhandelsszene wird im Moment definitiv umgepflügt. Inklusive beratungsintensiven Branchen wie Apotheken und Drogerien, bei denen plötzlich telefonische Beratung und Hauslieferdienste einen ganz neuen Platz einnehmen. Der Stellenwert von Wohlbefinden, Lebensqualität und Gesundheit wird von vielen Menschen zur Zeit neu definiert. Dies in einem Moment, in dem sich Pflege und Altwerden zu Hause definitiv als Megatrend etabliert hat. Selbstbestimmt leben und Grenzen ziehen hat Konjunktur und wird durch die Pandemie-Situation gefördert. Nicht zuletzt durch die offensichtliche Unsicherheit der Eliten in Sachen gesundheitlicher und wirtschaftlicher Zukunft.
Globalisierung als Brandbeschleuniger
Wir nehmen es als selbstverständlich, jeden Punkt der Erde innert Stunden erreichen zu können – fliegen ist ja spottbillig und schnell. Auch für Viren. Die Globalisierung hat’s möglich gemacht: Wirtschaftliche Fortschritte, fantastische Kostensenkungen dank Verlagerung von Produktionsstätten und optimale weltweite Arbeitsteilung sowie Konzentration der Produktionsstandorte prägen die globale Vernetzung. Beispielsweise durch Verlagerung der Herstellung praktisch aller medizinischen Wirkstoffe nach Indien, China und anderen Billig-Ländern. Was den Westen allerdings in hohem Masse abhängig gemacht hat. Mit zum Teil sehr ungünstigen Nebenwirkungen. Manche erwarten deshalb einen Trend in Richtung Deglobalisierung, denn das Vertrauen in die globalen Lieferketten ist grossenteils weg. Verbunden mit dem Wiedererkennen der Notwendigkeit von nationalen Grenzen und den Risiken der Just-in-time-Philosophie. Die momentan stattfindende Abschottung der Nationen hat medizinische Gründe. Innerhalb der Länder werden der Datenschutz und die Privatsphäre allerdings – und mit grosser Geschwindigkeit – zunehmend als geringwertige Güter abgeschafft; auch im Namen der Volksgesundheit. Eine Rückbildung der Globalisierung steht allerdings nicht zur Diskussion – die wäre ja auch nicht möglich. Aber man wird in Zukunft möglicherweise weniger an die kurzfristigen Renditen denken, also rein kapitalistisch operieren, sondern den Radar auf weitere Faktoren einstellen. Zumindest die demokratisch geführten Staaten werden eventuell den präventiven Massnahmen – etwa der Forschung auch auf «unrentablen» Gebieten und auf Pandemien ausgerichtete Lagerung – eine gewisse Prioritäten zugestehen. Auch wenn diese Geld kosten.1, 4, 5
Fazit HealthPoint: Welcher Grad von Zuverlässigkeit und Selbstbestimmung ist uns wichtig? Die Schweiz war globalisiert, lange bevor der Begriff erfunden wurde. Ob die bisher gültigen Freiheiten nach der Pandemie wieder möglich werden, ist allerdings fraglich – man rufe sich nur die schon vor der Pandemie stattgefundenen («egoistischen») Abschottungsprozesse der USA und China in Erinnerung. Weltweit denkt man einzig in Europa gerne an offene Grenzen. Ist man zu gutgläubig bis naiv? Müsste Europa die Risiken umsichtiger definieren? In Grenzen egoistischer werden? So oder so: «Sicherheitspolitik» wird sich möglicherweise bald nicht mehr nur auf militärische Belange beziehen können, sondern auch wirtschaftliche und soziale Überlegungen, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung gleichwertig einbeziehen müssen. Um in kritischen Situationen – wie der jetzigen Pandemie – auf die faktische Stilllegung des Landes verzichten zu können. Das nämlich ist geschehen, obwohl es Alternativen gegeben hätte.
Quellen:
1 NZZ am Sonntag, 2 Sonntagszeitung, 3 NZZ, 4 AZ-Medien, 5 Weltwoche