Corona-Epidemie: Woher stammt das Virus?

Nicht nur das SARS-Virus des Krankheitsausbruchs von 2003, sondern auch das aktuelle Sars-CoV-2 und eine Reihe weiterer gefährlicher Viren stammen ursprünglich aus Fledermäusen. Warum entwickeln sich die Erreger gerade in den Fledertieren?
Klaus Duffner

Gemäss Schätzungen des US Centers for Disease Control and Prevention haben bis zu 75 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten ihren Ursprung in Tieren. Eine bereits 2007 veröffentlichte umfangreiche andere Übersichtsarbeit kommt zu dem Schluss, dass das grosse Reservoir an SARS-CoV-ähnlichen Viren, zusammen mit der in Südchina verbreiteten Kultur, exotische Säugetiere zu essen, eine «Zeitbombe» sei.1 Jetzt ist diese Bombe explodiert.

Entlastung für Pangoline

Als eine der ersten Tierarten gerieten neben Fledermäusen auch Pangoline in den Verdacht, bei der Übertragung des neuartigen Coronavirus eine Rolle zu spielen. Tatsächlich ist schon länger bekannt, dass die ­urzeitlichen Schuppentiere SARS-Viren in sich tragen. Mit ihren mächtigen Grab­krallen, der röhrenförmigen Schnauze, dem zahnlose Kiefer sowie der langen klebrigen Zunge sind sie auf die Jagd von Ameisen und Termiten spezialisiert. Als einzige Säugetiergruppe ist ihr Körper mit grossen, überlappenden Hornschuppen bedeckt.

Alle acht Arten, vier davon und Afrika und vier in Asien, gelten in ihrem Bestand als bedroht. Hauptursache sind der Verkauf des Fleisches und die Verwendung der Schuppen sowie anderer Körperteile in der lokalen traditionellen Medizin. In China werden die zu einem Pulver zerriebenen Schuppen unter anderem als Aphrodisiakum, Antiseptikum, zur Behandlung von Nervenleiden, Vergiftungen, Entzündungen, Rheuma, Asthma, Durchblutungsstörungen und zur Stimulierung der Milchproduktion bei stillenden Müttern eingesetzt.2 Obwohl das Chinesische Pangolin geschützt ist, werden die Schuppen und das Fleisch tonnenweise illegal gehandelt. Auch in Wuhan existieren Wildtiermärkte, auf denen Schuppentiere angeboten werden. Fachleute der South China Agricultural University in Guangzhou berichteten auf einer Pressekonferenz am 7. Februar, dass die Analyse der SARS-Viren der Schuppentiere dem im Menschen zirkulierenden SARS-CoV-2 zu 99 Prozent entspreche.3 Allerdings bezog sich dieser Wert nicht auf das gesamte Genom, sondern auf eine spezifische Rezeptor-Region, die wiederum entscheidend für das Andocken an Säugetierzellen ist. Andere chinesische Arbeitsgruppen konnten wenig später zeigen, dass hinsichtlich des Gesamtgenoms nur eine rund 90-prozentige genetische Übereinstimmung zwischen Pangolin-Viren und dem menschlichen Covid-19-Erreger ­besteht. Und das sei möglicherweise zu ­wenig, um das Schuppentier als direkten Überträger des Virus auf den Menschen eindeutig zu identifizieren.

Immunsystem als Mutationsmotor  

Forschungsarbeiten zeigen schon seit Langem, dass ­Fledertiere viele unterschiedliche Viren in sich tragen. Darunter sind einige, die auch dem Menschen ­gefährlich werden können. Manche Fledermäuse bilden zeitweise Massenansammlungen mit bis zu einer Million Individuen an Tagesschlafplätzen und Winterquartieren. Besonders diejenigen Arten, die in solch gewaltigen Populationen eng zusammenleben, sind bekannt dafür, dass sie eine grosse Viren-Diversität beherbergen. Denn Viren verändern und verbreiten sich besonders dann, wenn viele Kontakte möglich sind.

Christian Drosten von der Berliner Charité, einer der weltweit führenden ­Virologen, hatte bereits im Jahr 2012 an der Universität Bonn mehr als 5000 Fledermäuse und Flughunde aus allen Ecken der Welt auf Viren untersucht.4 Drosten und sein Team detektierten rund 60 bislang unbekannte Vertreter der Paramyxoviridae, einer Virusgruppe, in der viele Vertreter schwere Erkrankungen bei Mensch und Tier hervorrufen können. So fanden sich sehr nahe Verwandte der Erreger der eigentlich ausgerotteten Rinderpest, der Masern und von Mumps. In afrikanischen Fledermäusen konnten zudem extrem ­gefährliche Erreger, wie Hendra- und ­Nipah-Viren nachgewiesen werden. Auch ist bekannt, dass auch das tödliche Ebola- und Marburg-Virus in den Fledertieren ein ­Reservoir besitzen.

Neben dem engen Kontakt von Fledermäusen untereinander, ist auch das extrem starke Immunsystem der Tiere ein Vorteil für die Viren. Das klingt paradox. Aber eine gute Immunabwehr zwingt die Viren, sich mit dem Wirt ein regelrechtes Wettrüsten zu liefern. Wie schaffen das die ­kleinen Flatterer? In einer Vergleichsstudie der University of California in Berkeley wurden Zellkulturen von Flughunden und grünen Meerkatzen mit verschiedenen Marburg- und Ebola-ähnlichen ­Viren infiziert.5 Während die ­Affen­zellen innerhalb weniger Tage vollständig abstarben, verlangsamte sich das Fortschreiten der Infektion in den Zellkulturen der Fledertiere. Einige Zellen blieben sogar gesund und waren überhaupt nicht infiziert. Die Forschungen offenbarten, dass die Immunabwehr der Tiere beim ersten Kontakt mit den Viren grosse Mengen des Zytokins Interferon-Alpha ausschüttet. Dadurch wurde die zelluläre Abwehr aktiviert und die Zellen gegen die Eindringlinge abgeschottet. Gleichzeitig verhinderte der Botenstoff eine überschiessende Entzündungsreaktion. Diese effektiven Mechanismen haben mit der unter Säugern einmaligen Lebensweise der Fledertiere zu tun: Sie können aktiv fliegen. Für diese Extrembelastung müssen sie ihren Stoffwechsel stark erhöhen und ihre Körpertemperatur von 37 °C auf 41 °C während des Fluges anheben. Die dabei anfallenden schädlichen freien Radikale und inflammatorischen Abfallstoffe können nur durch ein hochreguliertes und sehr effizient arbeitendes Immunsystem eliminiert werden. Als «Nebenprodukt» werden die aggressiven Viren in Schach gehalten. Aber auch die Erreger selbst pro­fitieren von der starken Immunreaktion der Fledermäuse: Sie sind gezwungen, sich ständig zu verändern und mit ausgefeilten Abwehrstrategien dem Immunsystem zu entkommen, ohne dass der Wirt stirbt. In dieser Situation können sich in gesunden Fledermäusen pathogene Viren entwickeln.5 

Eine Höhle als Virusbrutstätte?

Auch das SARS-Virus, das im Jahr 2002 und 2003 zum Ausbruch von schweren Atemwegsinfektionen führte und aus derselben Virusfamilie wie das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 stammt, hat sich höchstwahrscheinlich in Fleder­mäusen entwickelt. Erstmalig infiziert mit SARS wurden wahrscheinlich Wildtierhändler im südchinesischen Guangdong. Bis dahin wurden Coronaviren als Erreger angesehen, die eher harmlose Erkältungen beim Menschen hervorrufen. Die Chinesin Shi Zhengli und ihre Kollegen vom Wuhan ­Institute of Virology wollten ab 2004 den Ursprüngen dieses Ausbruchs nachgehen, der weltweit fast 800 Todesopfer gefordert hatte.6  Die Virologen nahmen unzähligen gefangenen Fledermäusen Blut- und Speichelproben ab und sammelten Kotabstriche. Allerdings konnten anfangs keinerlei genetische Nachweis auf Coronaviren erbracht werden. Erst als die Wissenschaftler ein Diagnose-Kit auf spezifische Antikörper einsetzten, änderte sich das Bild. Die Forscher fanden heraus, dass der Erreger immer nur kurz und nur zu bestimmen Zeiten in den Fledermäusen zirkuliert. ­Zudem konnte Shis Team in jahrelanger Arbeit die Suche nach dem Ursprung der Pandemie eingrenzen.7 In den Fokus geriet eine Höhle am Rande von Kunming, der Hauptstadt von Yunnan, rund 200 km nördlich der vietnamesischen Grenze. Dort fanden sie, je nach Jahreszeit, verschiedene SARS-Viren in den Fledertieren. Diese im Jahr 2013 in der Zeitschrift «Nature» ­publizierten Ergebnisse wiesen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Ausgangsort der Seuche hin. Ein weiteres interessantes Puzzleteil wurde 2017 veröffentlicht: In den Fledermäusen der Höhle von Yunnan konnte kein Virus identifiziert werden, das genetisch exakt mit dem menschlichen Erreger übereinstimmte. Allerdings waren im Erbgut von 15 Virenstämmen der Höhle alle Gene enthalten, aus denen das SARS-Virus bestand, das 2002 die Epidemie auslöste.8,9 Wie damals die Erreger aus den Höhlen von Yunnan ins 1000 Kilometer entfernte Guangdong kamen ist bislang unbekannt.

SARS-CoV-2: Nur ein gemeinsamer Vorfahr  

Zurück zum neuen Coronavirus SARS-CoV-2. Auch hier standen Fledermäuse ganz oben auf der Liste der verdächtigen Überträger. Tatsächlich ergaben Genomanalysen des aktuellen Erregers, dass er zu 96 Prozent mit dem Erbgut eines Coronavirus übereinstimmte, das Shi Zhengli ­bereits bei Hufeisennasen in Yunnan identifiziert hatten.6 Für die Experten war damit klar, dass auch hier wieder Fledermäuse das natürliche Reservoir bilden. Da sich SARS-CoV-2 gemäss einer Analyse von 326 Virensequenzen seit Dezember 2019 fast nicht verändert habe, hätten die Erreger alle einen gemeinsamen Vorfahren, sagt der ­Virologe Ralph Baric von der University of North Carolina in Chapel Hill, in einem Beitrag der Zeitschrift «Spektrum der Wissenschaft».6 Daraus lasse sich ableiten, dass das Virus nur ein einziges Mal auf den Menschen übergesprungen war und sich in der Folge nur noch von Mensch zu Mensch übertragen habe. Wahrscheinlich zirkulierte das Virus sogar schon einige Zeit, ­bevor die ersten schweren Fälle auftraten. 

Wildtiermärkte mit idealen Übertragungsbedingungen 

Wie kamen die Viren von den Fledermäusen in den «Mensch 0»? Zwar ist eine direkte Kontamination, beispielsweise über Fledermauskot denkbar, es könnten jedoch auch Pangoline, Schleichkatzen oder bislang noch unbekannte Reservoirtiere als Zwischenwirte daran beteiligt gewesen sein. Im besagten Huanan Seafood Market in Wuhan wurden jedenfalls auf engstem Raum neben Tierarten wie Riesensalamandern, Baby-Krokodilen, Schlangen, Marderhunden, Ratten, Füchsen und Pangolinen auch Larvenroller (Paguma larvata) angeboten. Diese, häufig mit der verwandten Zibetkatze verwechselten, vier bis fünf Kilo schwere Schleichkatzenart, könnte auch schon beim SARS-Ausbruch 2002 eine Rolle gespielt haben. Tatsächlich stimmten die Coronaviren, die in damals beschlagnahmten Schleichkatzen in ­Guangdong identifiziert worden waren, zu 97 Prozent mit einem Coronavirenstamm aus Hufeisennasen-Fledermäusen genetisch überein. Wie die Übertragung von den Fledermäusen auf die Schleichkatzen passierte, ist unbekannt. Fachleute gehen davon aus, dass Wildtiermärkte ideale Bedingungen für die Übertragung verschiedenster pathogener Keime bieten und zwar von Tier zu Tier als auch von Tier zum Menschen. So werden auf diesen Märkten Nutz- und Wildtiere lebend angeboten und bei Bedarf vor Ort geschlachtet und verkauft. Gemäss einer kürzlich in der Fachzeitschrift Lancet publizierten Studie haben von den ersten 41 Personen, bei denen eine Covid-19 ­Infektion offiziell bestätigt wurde, 27 eine Verbindung zu dem Huanan Seafood ­Market in Wuhan gehabt.10 Am 31. Dezember erfolgte eine Epidemie-Warnung der lokalen Gesundheitsbehörde und am 1. Januar 2020 die Schliessung des Marktes. Zu diesem Zeitpunkt war das ­Virus jedoch schon auf dem Weg in die Welt. •

Referenzen

1 Cheng VCC, et al. Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus as an Agent of Emerging and Reemerging Infection. Clin Microbiol Rev. 2007; 20(4): 660–694. 
2 Gaubert P: Order Pholidota. In: Don E. Wilson und Russell A. Mittermeier (Hrsg.): Handbook of the Mammals of the World. Volume 2: Hooved Mammals. Lynx Edicions, Barcelona 2011, ISBN 978-84-96553-77-4, S. 82–103
3 www.spektrum.de/news/neues-raetsel-um-den-ursprung-des-virus/1709380
4 Drexler JF, et al. Bats host major mammalian paramyxoviruses. Nature Communications 2012; 3: Nr. 796. www.nature.com/articles/ncomms1796
5 www.scinexx.de/news/medizin/warum-sind-fledermaus-viren-so-toedlich/
6 www.spektrum.de/news/die-frau-die-coronaviren-jagt/1713320
7 Ge Xing-Yi, et al. Isolation and characterization of a bat SARS-like coronavirus that uses the ACE2 receptor. Nature. 2013; 503: 535–538.
8 Ben Hu, et al. Discovery of a rich gene pool of bat SARS-related coronaviruses provides new insights into the origin of SARS coronavirus. 2017; doi.org/10.1371/journal.ppat.1006698
9 Cyranoski D et al: SARS outbreak linked to Chinese bat cave. Nature. 2017; 552: 15–16. 
10 www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)30186-0/fulltext