Cannabis – Raus aus der Grauzone

Die Herbstversammlung des Apothekerverbandes des Kantons Zürich AVZH stellte – im Anschluss an die üblichen Traktanden – das Thema «Cannabis» in den Mittelpunkt. Cannabis als uralte Heilpflanze, der wegen ihren medizinischen Werten plötzlich eine vielseitige Zukunft vorausgesagt wird.
Hans Wirz

Man weiss es seit Jahrtausenden: Cannabis ist viel mehr als ein Suchtmittel. «Unter einem Cannabis-Arzneimittel versteht man ein Betäubungsmittel auf Cannabisbasis mit einem standardisierten Wirkstoffgehalt. Es muss heilmittelrechtlichen Sicherheits- und Qualitätskriterien genügen. In der Schweiz kann ein Arzt oder eine Ärztin cannabishaltige Arzneimittel verschreiben», so das BAG zur medizinischen Anwendung von Cannabis. 

Ängste und der Verstand

Forschung und Entwicklung laufen auf Hochtouren, die Politik steht auf den Bremsklötzen – vermutlich, weil es in Zusammenhang mit psychoaktiven Drogen viel Missbrauch gab. Und noch immer Sucht droht. Gegensteuer gibt der »Fachzirkel Cannabis Schweiz», der 2018 von vier Apothekerinnen und Apothekern in Zürich gegründet wurde. Mit den Zielen, den Apotheken «fachlich einwandfreie, standardisierte, mit einer Indikation versehene Produkte, extrahiert aus der Hanfpflanze oder synthetisch hergestellt, vorzuschlagen, zu empfehlen oder zu vermitteln». Eigene kommerzielle Absichten bestehen nicht. Im Vordergrund steht, gut verständliche Auf‌klärung in vielen Formen zu liefern; beispielsweise mittels Koch­kursen mit Cannabis. Interessenten bezüglich medizinischen Indikationen und allen anderen Aspekten von Cannabis sind herzlich dazu eingeladen und aufgefordert, Mitglieder zu werden (www.fcschweiz.org/fachzirkelcannabis@gmx.ch).

Lange ist’s her …

Cannabis wird seit vielen Jahrtausenden für Heilzwecke eingesetzt. Beispielsweise im 2. Jahrhundert in der klassischen chemischen Medizin, im 5. Jahrhundert in der antiken und islamischen, aber auch in der Kloster-Medizin. Im 19. Jahrhundert wurde die Pflanze in die Arzneibücher aufgenommen und kurz danach durch synthetische – und damit besser dosierbare – Arzneimittel verdrängt. 1925 verboten der Völkerbund und einige Staaten Cannabis; möglicherweise auch, weil Cannabis zunehmend als Alkoholersatz wichtiger wurde. In den USA wurde Forschung zu Cannabis verboten – aber mittlerweile hat sich eine breite Bewegung zugunsten dem medizinischen Einsatz von Heilmitteln aus Cannabis entwickelt. Vor allem im Schmerzbereich und bei der Behandlung von Multipler Sklerose.

… und jetzt kommt der Aufschwung

Anlässlich der Herbstversammlung des AVZH vermittelte Dr. med. Edzard Ellerkmann aktuelle Informationen zum Thema. Als Facharzt Anästhesiologie und ­Schmerztherapie SSIPM wirkt er im ­Polymedes Schmerzzentrum Zürich/Brugg (www.polymedes.ch).

Mehr als 100 unterschiedliche Cannabinoide und über 400 Substanzen wie beispielsweise Flavonoide können aus Hanf isoliert werden. Sie werden chemisch definiert als C21-Terpenophenole. Der therapeutische Schwepunkt liegt auf Tetra­hydrocannabinol THC und Cannabidiol CBD, wenn Schmerzunempfindlichkeit ge­fragt ist. Beispielsweise bei Entzündungen, neuropathischen Zuständen (durch eine Dysfunktion des Nervensystems hervorgerufen), Stresszuständen oder Schmerzen.

«Bei chronischen Schmerzen werden die schmerzverarbeitenden Systeme verändert», so der Arzt. «Das Schmerzsystem reagiert immer heftiger und schneller, zuletzt sogar auf normalerweise nicht schmerzhafte Reize.» Das Problem sei dabei, dass sich durch die Chronifizierung das Schmerzgedächtnis vertiefe. «Dieser Prozess muss möglichst früh gestoppt werden, denn je länger man damit wartet, desto weniger erfolgreich ist die Schmerzbehandlung», so der Spezialist für Schmerztherapie. Cannabisprodukte erleichtern die Schmerzbekämpfung ganz klar.

Interessantes in Kürze

Gut jeder sechste Schweizer – 16 % – leidet an chronischen Schmerzen. Und wie steht es um die Wirksamkeit von Cannabis-Arzneimitteln? Mit Ausnahme von Nachweisen zur krampflösenden Wirkung ist die Studienlage noch dünn. Aber Anwendungsbeobachtungen über ein Jahr (bei MS) bestätigen eine anhaltende Wirkung von THC/CBD. Alle Cannabisprodukte sind (noch) nicht auf der Arzneimittelliste, sind also nicht kassenpflichtig. Geschätzte über 100 000 Patientinnen und Patienten versorgen sich mit Cannabis – davon nur wenige Tausend mit Bewilligungen. Das sagt das BAG. Es ist je­doch klar absehbar, dass medizinische Canna­bisprodukte eine sehr gute Zukunft haben.