«Beschleunigung ist angesagt»

Strukturwandel 1: Apotheken
Die «neue Normalität» erschreckt noch nicht. Weil es sie noch gar nicht gibt. Inwiefern wird es überhaupt ein neues Zeitalter geben? Beispielsweise bezüglich der Apotheken?
Hans Wirz


Verändert Corona das Gesundheitswesen? Gibt es einen tief greifenden Strukturwandel?

Das gilt für alle Berufe, alle Branchen und alle Organisationen: Offensichtlich ist niemand in der Lage, bedeutende Veränderungen vorauszusehen – respektive es sind nur ganz wenige mit Sicherheit zu erwarten. Das scheint auch bezüglich der Apotheken zu gelten. «Sicher beschleunigen sich einzelne Tendenzen, aber grundsätzliche Veränderungen sind zurzeit nicht auszu­machen», so Fabian Vaucher, Präsident von pharmaSuisse. Also bald alles wieder wie gehabt? «Das schon nicht. Aber was sich abzeichnet, sind – bei hohem Tempo – vorerst nur wachsende Unsicherheit und emotionale Erscheinungen.» Zahlreiche Apotheken hatten in der unsicheren Zeit viel mehr telefonische Beratungen zu erbringen als vor der Pandemie. Zudem: «Ansonsten hoch frequentierte Apotheken verloren plötzlich massiv Umsätze – beispielsweise in oder bei Bahnhöfen. Andere in ländlichen Gebieten legten massiv zu. Wenigstens kurzfristig; die Kundinnen und Kunden stockten teilweise auch ihre Medikamentenbestände auf, aber seit Juni hat sich alles relativiert.»

Was sich beschleunigen dürfte

Nachdem Ärztebesuche am Anfang der Pandemie eher schwieriger wurden, zeigte sich das Vertrauen der Bevölkerung in der grossen Inanspruchnahme der Apotheken: «Die Leute wollten wissen, wo sie gesundheitlich stehen und was für Produkte und Massnahmen es gab, um ihre Sicherheit zu steigern.» Und natürlich gab es auch ­bedeutend mehr Hauslieferungen und ­An­fragen per Mail – «die Entwicklung von entsprechenden Angeboten dürfte in ­Zukunft steigen, auch der Einsatz von Telemedizin.» Man könne mit Sicherheit sagen, dass sich viele Apotheken zu einem eigentlichen Gesundheitszentrum entwickeln werden – nicht nur bezüglich gesund werden, sondern vermehrt auch um gesund zu bleiben. Anders ausgedrückt: «Corona hat grundsätzlich alles gefördert, was Apotheken an Zusatzleistungen mindestens teilweise bereits anbieten. Inklusive Impfen.» Gefragt in diesem Prozess der raschen Entwicklung ist allerdings noch die öffentliche  Anerkennung der Behörden und der Politik bezüglich des Nutzens der Apotheken als Grundversorger. Gefragt ist auch die Vereinheitlichung der kantonalen Regelungen.

Zusätzliche Aspekte

Aufs Ganze gesehen hat die schnelle Entwicklung kurzfristig auch ihre negativen Seiten, etwa die wirtschaftliche Gefährdung vieler Apotheken. Welche können und sollen in Zukunft wo und wie investieren? Wie können Apotheken sich abzeichnende Trends konsequent nutzen? 

• Der Versandhandel wird wohl wichtiger, ebenso der ganze Bereich der Digitalisierungsmöglichkeiten; wahrscheinlich auch ein praktischer Abholdienst rund um die Uhr. 

• Was ebenfalls ansteht, sind Fixpauschalen je Packung, unabhängig vom Packungspreis – «verbunden mit besserer Kosten­deckung bei den Apotheken, aber auch gleichzeitig als Anreiz zur Senkung der Gesundheitskosten», so Fabian Vaucher. 

• Wie das? «Beispielsweise soll (ohne negative wirtschaftliche Folgen für die Apotheken) der Anteil an Generika deutlich gefördert werden.» Es geht hierbei um einen Systemwechsel beim Vertriebsanteil. Gesucht ist die sach­gerechte und faire Bezahlung. Dieses Vorhaben hat direkt nichts zu tun mit Corona, ist aber ein gutes Beispiel für die neu entstehende Dynamik.

Die Apotheken am Drücker

Ist mit neuen Angeboten aus der Apotheke zu rechnen? «Unbedingt! Auch die Versicherer wollen lieber nützliche neue Angebote statt immer höhere Hotelkosten in den Spitälern.» Das bedinge neue Kompetenzen in den Apotheken, «beispielsweise im Bereich der Gentests.» Fabian Vaucher erwartet – ebenfalls als Folge der Pandemie – mehr «wünschbare Vielfalt» in der Branche, entsprechend der individuellen Nachfrage. Die nicht zuletzt darauf beruht, dass Apotheken in gewissen Fällen schneller und kostengünstiger agieren können als Ärzte und Spitäler. «Das Subsidaritätsprinzip sollte vermehrt zum Tragen kommen.» Was letztlich von Apotheken nichts anderes erfordert als vermehrtes kaufmännisches Denken und Handeln. Also mehr kalkulierte Risikobereitschaft.