BAG im Tiefflug

Strukturwandel 6: Schwächeanfall   Es scheint, das BAG verunsichere im Moment mehr, als es Klarheit schafft. Zumindest regnet es zurzeit Kritik auf allen Kanälen – ausser denen der SRG. Kein Wunder: Nach den verdienten Lobeshymnen auf den Bundesrat zu Beginn der Pandemie tauchen jetzt berechtigte Fragen der unangenehmen Art auf. 
Hans Wirz

Was gibt zu teilweise schroffer Kritik Anlass? Welche Themen schälen sich heraus, die uns in den nächsten Monaten und Jahren zu schaffen machen? Eine Auslese. 


Thema 1: Kritik

Kritik lösen die widersprüchlichen Verhaltensregeln aus, die das Vertrauen in das BAG unterminiert haben. Dann fehlende Klarheit, die Zusammensetzung des beratenden Fach­panels («nur Jasager»), fehlende Präventionsmassnahmen (Masken und logistische Planung), Verunglimpfung von kritischen Kritikern, sehr später Einbezug ökonomischer Überlegungen, Lächerlichmachen von gegenläufigen wissenschaftlichen Meinungen, drohende Überführung des Notrechts in dringliches Bundesrecht. Um sie zu isolieren, wirft man Corona-Skeptikern «schrille Parolen» vor; das Risiko­management der Regierung weise schwerwiegende Lücken auf, der Bund stelle die Passagierdaten den Kantonen viel zu spät zur Verfügung. Und andere Schwächen.1,2,3,4,5,6

 Denkanstösse HealthPoint: Kritik, ob emotionell oder sachlich vorgebracht, kann die positive Entwicklung fördern – oder jäh stoppen. Speziell in einer Zeit wie heute, in der «politisch richtig» wichtiger geworden ist als die faire Auseinandersetzung und das Ringen um Fortschritt. Was wir brauchen, ist die Rückbesinnung auf den Wert von Abwägungen.   


Thema 2: Kosten Wirtschaft 

Weltweit werden Dutzende Milliarden Franken gestreut – auch in der Schweiz. Mit dem Ziel, die negativen Folgen der darniederliegenden Wirtschaften gewissermassen zu neutralisieren. Langsam wird an Schadenbilanzen gewerkelt. Zurzeit (Mitte September) ist die Schätzung populär, ungefähr ein Viertel der Wirtschaftsleistung sei weltweit weggebrochen, entsprechend der schwindenden Kauflust. Die Schweiz als Exportland ist speziell betroffen. Ängste sind zerstörerischer als die effektiven Kosten des Lockdowns. Die Zweifel an der Nützlichkeit der Globalisierung wachsen, entsprechend wächst der sich abzeichnende Trend zum Rückzug auf «nationale Herstellungs­ketten» – die Menschen wollen mehr Versorgungssicherheit.1,2,3 

  Denkanstösse HealthPoint: Noch macht man sich weltweit wenig Gedanken darüber, wie das verschenkte Geld in die Staatskassen zurück­fliessen soll. Niemand weiss, wie das «Nachkrisen­management» aussehen soll. Man beschleunigt den Notendruck, denkt an mehr Steuern vor allem vom Mittelstand. Respektive an das Absenken der Lebensstandards. Der Schweiz droht offenbar ein Wertschöpfungsverlust von bis zu 80 Milliarden Franken. Wobei die Leistungserbringer je nach Branche sehr unterschiedlich betroffen sein werden. Und: Die Erholung «back to normal» wird viel länger dauern, als viele heute glauben.


Thema 3: Wissenschaft

Politiker, Ökonomen und die Wissenschaft stecken in einem zutiefst verunsichernden Meinungsgewirr. Speziell die Wissenschaft; dem Vernehmen nach sollen 167  Pharmaunternehmen an einem wirksamen Impfstoffnegativ arbeiten. Was keinesfalls als negativ zu bezeichnen ist: Die unterschiedlichen wissenschaftlichen Lösungen sind zwar sehr teuer, ermöglichen aber eine Auswahl der «besten ­Lösungen» zugunsten der Bevölkerung. Im Moment spiegelt sich in der Vielfalt der möglichen Lösungsansätze auch die Unsicherheiten der Rollen des Bundes und der Kantone. ­Deshalb fordern Parlamentarier eine neue ­Krisenorganisation respektive einen permanenten nationalen Krisenstab. Inklusive mehr Digitalisierung. Man will die Qualität der Transparenz und der (regionalen) Zusammenarbeit stärken. Respektive Sicherheit, Nähe und ­Vertrauen in der Bevölkerung ent­wickeln.1,3

 Denkanstösse HealthPoint:Tatsächlich haben teils widersprüchliche Empfehlungen (speziell des BAG) die Menschen unnötig verunsichert. Die Schaffung eines permanenten Krisenstabs (verbunden mit dem Überdenken unseres Gesundheitssystems) ist deshalb als positiv zu beurteilen – die nächste Krise kommt bestimmt. Beispielsweise, wenn uns plötzlich wirksame Antibiotika ausgehen. 


Thema 4: Jobs

Dass es zu einer Entlassungswelle kommt, wenn die Kurzarbeit ausläuft, ist wahrscheinlich. Nicht zuletzt, weil die Erholung der Käufermärkte unerwartet langsam verläuft. Der Bund rechnet mit 200 000 bis 300 000 Arbeitslosen respektive bis zu 7 Prozent. Digitalisierung und ­Globalisierung werden zunehmend als negativ wahrgenommen; die anstehende Rezession verursacht zusätzliche Arbeitslosigkeit. Plus versteckte Arbeitslosigkeit, etwa als Abwanderung in die Sozialhilfe. Andere Quellen sprechen gar von bis zu 900 000 «von Arbeitsmangel» ­betroffenen Personen respektive 17 bis 18  Prozent der erwerbsfähigen Bevöl­kerung. Neben Jugendlichen werden auch überdurchschnittlich viele Frauen betroffen sein.1,3 

Denkanstösse HealthPoint:Das sind erschreckende Zahlen. Denn auch «von Arbeitsmangel» Betroffene sind Konsumentinnen und Konsumenten, die sich werden einschränken müssen. Und dann: Wie viele Einzelbetriebe werden wegen Einbruch der Nachfrage schliessen? Sicher muss man in Unternehmen mit Reorganisationen rechnen – der psychische Druck wird in der Arbeitswelt deutlich wachsen. 


Thema 5: Politik 

Man weiss wenig bis nichts über die Zeit nach Corona. Respektive bis zur Entwicklung eines Impfstoffes. Umso unterschiedlichere Meinungen geistern weltweit herum. Besonders herausgefordert sind das BAG, die Kantone und die Politik ganz allgemein. Denn es geht nicht mehr nur um die erschreckende, aber normale Hilflosigkeit in wissenschaft­lichen Kreisen, sondern auch um irre Schuldenlawinen, die rund um den ­Planeten losgetreten wurden. Über der ganzen Lösungsproblematik schwebt immer die Unsicherheit, wie viel ­Einschränkungen die Bevölkerung ­schlucken wird: Die einen wollen eine straffe Führung durch die Kantone, die anderen sind risikofreudiger und glauben nicht an Einschränkungen. Resultiert in Zukunft eine Art Planwirtschaft in der Schweiz? Wird sich das Notrecht als Dauerrecht etablieren?1,2,3  

  Denkanstösse HealthPoint: In den ­Augen vieler haben Bund, Kantone und die Administration zu schlecht kommuniziert. Und damit «versagt»: Man weiss nicht mehr, wem «zu trauen» ist. Es geht dabei nicht nur um fachliche Lösungen, sondern um Transparenz im Entwicklungsprozess hin zu medizinischen und wirtschaftlichen Lösungen. Und darum, dass die essenziellen Versorgungslinien wieder in der Schweiz aufgegleist werden; hoffentlich hat die Politik das kapiert. Und steuert entsprechende Investition in die Herstellung und die ­Lagerhaltung – «just in time» funktioniert zu wenig sicher.


Thema 6: Lifestyle

Die Mehrzahl der Menschen will ­«zurück» in die alte Bequemlichkeit und Sicherheit – und einfach mehr von allem bekommen. Man sehnt sich nach «Normalität» ohne Verzicht.3

  Denkanstösse HealthPoint: Vergebliche Mühe; «anything goes» ist wohl auf Jahre hinaus vorbei, schmerzhafter Verzicht ist absehbar. Denn die nächste Pandemie, neue finanzielle Bedrohungen und zerstörerische Naturereignisse sind eigentlich so voraussehbar wie es die gegenwärtige Pandemie gewesen wäre.

Quellen:
1 NZZ am Sonntag, 2 Weltwoche, 3 NZZ, 4 Tagesanzeiger, 5 Zeitpunkt, 6 Schweizerzeit